„Unternehmen, die sich nicht ändern, fahren vor die Wand“ Interview mit neuem UnternehmensGrün-Vorstand Gerd Hofielen

Vorstellung der Studie_Jahrestagung_Gerd HofielenAm 23. Oktober fand die Jahrestagung unseres Kooperationspartners UnternehmensGrün unter dem Titel „progressive Unternehmensstrategien“ in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin statt. Im Rahmen der Veranstaltung hat der ökologisch orientierte Unternehmensverband UnternehmensGrün eine qualitative Studie unter dem gleichen Titel herausgegeben. Dabei wurden fortschrittliche Unternehmen zu ihren Geschäftsmodellen befragt. Das nachfolgendede Interview mit Studienautor Gerd Hofielen wird mit freundlicher Genehmigung des Verbandes hier veröffentlicht:

Egal ob Dieselbetrug bei VW, Kohlekraftwerke bei den Energiekonzernen oder die Tabakfirmen: Markt und Börsen bestrafen Unternehmen drastisch, die den Bedürfniswandel der Gesellschaft ignorieren. Gerd Hofielen, Geschäftsführer der hmp Unternehmensberatung, hat in einer Studie für UnternehmensGrün untersucht, nach welchen Kriterien eine „progressive Unternehmensführung“ arbeitet, die den Wandel vorwegnimmt. Und so nicht nur eine menschliche Wirtschaft hervorbringt, sondern auch die Zukunft der eigenen Unternehmen sichert.

In den Lehrbüchern der Mikroökonomie steht klipp und klar: Der Zweck eines Unternehmens ist die Gewinnmaximierung. Sie sprechen als Unternehmensberater dagegen von der reinen „Gewinn- und Wachstumsfixierung als Irrweg“. Warum?

Gerd Hofielen: Vor allem im Bereich der Konzernwirtschaft ist die reine Gewinn- und Wachstumsorientierung zum Mantra für Aktionäre und Vorstände geworden. Dabei tritt der Sinn des Unternehmens in den Hintergrund.

Was sind für Sie der „Sinn des Wirtschaftens“ und der „Zweck des Unternehmens“?

Der Sinn des Wirtschaftens als Ganzes ist es, Bedürfnisse zu befriedigen. In der privatwirtschaftlichen Organisation des Unternehmens kommt dazu, dass dieses Befriedigen von Bedürfnissen Gewinne abwerfen soll. Darauf sind Unternehmen natürlich angewiesen.

Also doch kein neues Paradigma?

Gewinn ist ein Überlebensmittel, das Firmen genauso brauchen wie der Körper die Luft zum Atmen. Die Unternehmensziele sollte man aber mit Blick auf Gesellschaft, Kunden und Mitarbeiter weiter fassen und so definieren, das alle, die am Wirtschaftsprozess beteiligt sind, ihre Ziele ebenfalls befriedigen können. Auch die aktuelle Studie des IÖW zeigt, dass zumindest im Mittelstand nicht alle Unternehmen Wachstum anstreben. Wir zeigen darüber hinaus, dass und wie ein neuer Typ von Unternehmen entsteht. Solche Unternehmen gibt es in allen Branchen, nicht nur bei den Erzeugern von Erneuerbarer Energie und Biolebensmitteln, sondern auch bei Banken, Spediteuren und Weiterbildungsinstitute, Sanitärunternehmen.

Sie sprechen von einer „menschenwürdigen Wirtschaft“, was ist das?

Das sind Organisationen, die menschliche Bedürfnisse umfassend aufnehmen. Mitarbeiter haben ein Bedürfnis nach Beteiligung und Ausbildung, Lieferanten wollen nicht nur nach dem Kriterium „billigster Anbieter“ ausgewählt werden, Kunden wollen fair bedient werden. Eine menschenwürdige Wirtschaft respektiert Bedürfnisse und Lebensbedingungen von Menschen. Dass die konventionelle Wirtschaft das in bedauerlicher Regelmäßigkeit nicht tut, sieht man an den Lebensbedingungen in der Dritten Welt oder an dem Zustand der Umwelt.

Das sind moralische Argumente. Sie sind Unternehmensberater, wo bleibt die Ökonomie?

Wenn ich z.B. meine Lieferanten in China mit Preisen honoriere, die ein menschenwürdiges Leben nicht mehr ermöglichen – und das geschieht heute – dann schneide ich auch meinem eigenen Unternehmen  Zukunftschancen ab, weil ich bei der konventionellen Machart mitspiele. Damit kommen wir von der Moral zum Geschäft. Unternehmen, die im Produktionsprozess und in der Lieferkette berücksichtigen, welche menschlichen und ökologischen Lebensbedingungen dahinter stecken, die können daraus Chancen machen.

Beispiel?

Nehmen sie Vaude oder Patagonia, die Outdoor-Bekleider. Beide Unternehmen haben beschlossen, in der Produktion umweltfreundlich vorzugehen und auf die sozialen Bedingungen zu achten: Von den Näherinnen in Asien bis zur Work-Life-Balance in Deutschland. Beide machen das inzwischen zum Kern ihrer Markenbotschaft und es gibt einen Kreis von Kunden, der genau das würdigt. Das sind nicht alle Konsumenten – wir sehen immer noch die Schlangen vor Primark – aber wir sehen immer mehr Unternehmen, die aus dem Motiv der Moral Geschäftserfolge machen. Diese Moral kommt nicht aus Frömmigkeit oder Gehorsam, sondern aus höherer Einsicht in Notwendigkeiten.

Sie haben in der Studie „Progressive Unternehmensführung – eine qualitative Studie zu wesentlichen Elementen der fortschrittlichen Unternehmensführung“ im Auftrag von UnternehmensGrün 17 Unternehmen intensiv befragt. Alles Vorreiter?

Ja, wir wollten von Unternehmen lernen, die ihre Geschäftspraktiken an Aspekten wie „menschenwürdig“ oder „progressiv“ ausgerichtet haben. Das kleinste Unternehmen hat vier Mitarbeiter, das größte 1400. Die Umsätze reichen von unter einer Millionen Euro im Jahr bis hin zu 240 Millionen. Alle haben auskömmliche Gewinnmargen.

Welche Motive treiben diese Unternehmer?

Im Hintergrund stehen fast immer UnternehmerInnen-Persönlichkeiten mit einer ethisch geprägten Haltung. Wir haben es hier mit UnternehmerInnen zu tun, die mit wachen Augen durch die Gegend gehen, ihre Gewinnmaximierungs-Scheuklappen ablegen und wissen wie man ein Unternehmen führen muss, damit es in die heutige Gesellschaft passt.

Sind die Unternehmensmodelle dieser Firmen besonders dauerhaft?

Die meisten Unternehmen haben massive Krisen überlebt, etwa weil Kundengruppen weggebrochen sind oder die Lieferantenbasis geändert werden musste. Sie zeichnen sich aber eben dadurch aus, dass sie umsichtig wirtschaften und eine größere Flexibilität gegenüber Veränderungen haben, also eine größere Resilienz. Unter den interviewten Unternehmen sind viele, die schon seit 20 Jahren Erfolg haben.

Wie kann ein konventionelles Unternehmen sich in Richtung dieser Vorreiter verändern?

Das ist für jedes Unternehmen möglich.  Der Einstieg kann  mit einer Analyse beginnen: wie funktioniert unser Geschäft? Welche Geschäftspraktiken haben wir? Welche Visionen haben wir? Da gibt es Instrumente wie die Gemeinwohl-Analyse um zu sehen, wie man aufgestellt ist und welche Schritte man gehen kann. Der andere Weg ist, dass einflussreiche Personen im Unternehmen die Weichen neu stellen wollen. In der Phase der Umstellung sollten die Firmen dann zunächst die leicht erreichbaren Früchte ernten und sich auf das Thema Kunden, Umwelt oder Mitarbeiter fokussieren. Nicht auf alles gleichzeitig. Von da aus kann man beginnen, das gesamte Geschäftsmodell umzubauen. Und nebenbei bemerkt: Ich bin überzeugt, dass wir bei VW gerade den Beginn einer solchen Veränderung erleben.

Wieso kommen Sie jetzt auf VW?

Ich habe den Umbau von Siemens als Teil der Anti-Korruptions-Task-Force miterlebt. Siemens hat rund 200 Personen im oberen Führungskreis ausgetauscht und bei VW ist auch ziemlich klar, dass viele hohe Manager in die Betrugspraxis bei Diesel-Motoren eingeweiht waren. Es wird drei bis vier Jahre dauern, bis die Firma glaubwürdig umgebaut ist.

Was haben Betrug und Korruption mit progressiver Unternehmensführung zu tun?

Es geht um die Einhaltung von bestehenden Gesetzen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber in vielen Nationen gelten Betrug und Korruption als normal. Deutschland ist keine grundsätzliche Ausnahme, wie wir sehen. Da braucht eine Firma moralisches Rückgrat, um sich dem entgegen zu stellen. Progressive Unternehmen verstehen, welche Themen eine sich verändernde Gesellschaft bewegen: Unbestechlichkeit, Ehrlichkeit, Frauen in Führungspositionen, Umweltschutz und Faire Bedingungen in der Lieferkette. Das waren Themen, die vor zehn Jahren keine Rolle in der Öffentlichkeit spielten – jetzt sind das Top-Themen für Firmen. Das sind Themen für prosperierende Unternehmen in prosperierenden Gesellschaften.

Das müssen Sie erklären.

Die Frage ist: Wie fahre ich als Unternehmer besser? Mache ich eine Firma in Burkina Faso auf oder in Deutschland? Wenn ich mich für Deutschland entscheide, profitiere ich von einer funktionierenden Zivilgesellschaft und einem funktionierenden Rechtssystem. Da kann man von Unternehmen auch erwarten, dass sie diese gesellschaftlichen Grundlagen stützen und nicht durch Betrug und Korruption unterlaufen.

Was mache ich als Unternehmer, wenn ich ein Produkt habe, dass ich auch mit einem fortschrittlichen Management nicht retten kann? Billige Wurst aus Massentierhaltung, Tabak oder Kohlegruben.

Tabak ist ein Beispiel dafür, dass marktbeherrschende Firmen bei ihrem konservativen, sturen, profitmaximierenden Verhalten bleiben. Hierzulande ist der Genuss von Tabak inzwischen stark einschränkt. Firmen wie Phillip Morris weichen darum in osteuropäische Märkte aus, machen Greenwashing und ändern ihre Unternehmenszwecksetzung nicht.

Es gibt ja viele Firmen mit fatalen Produkten. Was können die tun, ohne sich selbst abzuschaffen?

Nehmen wir Renault. Das Unternehmen ist am weitesten mit dem Angebot von E-Fahrzeugen, die haben auch schon 2003 begonnen, Rußfilter in ihre Diesel einzubauen. Hier zeigt sich eine Wachheit für die Umstellung der alten Produkte auf neue Bedürfnisse, auch bevor gesetzliche Vorschriften greifen. Hersteller von Waren, die in der Gesellschaft eine problematische Wirkung haben, müssten selber ihre Kunden darüber aufklären und auf andere Produkte umgewöhnen.

Das klingt verwegen, gibt es ein Beispiel?

Die Outdoorfirma Patagonia hat die berühmte Anzeige geschaltet: „Don´t buy this jacket“, und die Kunden darauf hingewiesen, dass sie nicht so viel kaufen sollen, sondern ihre vorhandenen Sachen auch mal reparieren können. Das klingt für den Umsatz erst mal kontraproduktiv, aber es gibt Kundengruppen, die auf solche Signale positiv reagieren. Ich kann allen Herstellern, die problematische Waren produzieren, nur empfehlen, sich auf einen progressiven Pfad zu begeben. Früher oder später müssen sie sowieso dahin. Das sieht man ja an den Energieoligopolisten die glaubten, sie könnten sich den Erneuerbaren Energien entziehen und weiter auf Kohle und Atom setzen. Und wenn sich die Politik dann neu entscheidet, fahren diese Unternehmen vor die Wand. Das passiert selbst Konzernen, die sich für unangreifbar halten.

Also sollte ein Unternehmen jetzt in einen nachhaltige Produktlinie investieren und dafür auch ein paar Prozentpunkte am Gewinn abgeben, um sich einen langfristigen Erfolg zu sichern?

Ja, das kann man ruhig als  Investition betrachten. Wir sind es bei Investitionen gewohnt, dass sie nicht sofort Gewinn bringen. Eine neue Produktlinie aufzubauen und in den neuen Märkten anerkannt zu werden ist nicht nur Daseinsvorsorge, sondern auch ein kluger Umgang mit der Gesellschaft.

BMW baut Elektroautos, RWE baut Windparks. Und dann kommt garantiert ein Umweltaktivist angerannt und sagt: Alles Greenwashing. Wie unterscheide ich Greenwashing von echtem Umsteuern?

Da muss man auf die Mengenverteilung achten. Die Unternehmen in der Studie haben eine durchgehend fortschrittlich gemanagte Produktpalette. Bei BMW muss man berechnen, wie viele Elektroautos sie tatsächlich verkaufen. Bis heute sind das wenige. Aber mein Eindruck ist: Bei BMW ist der Wandel zu umweltfreundlichen Fahrzeugen ernst gemeint. Bei VW wissen wir mittlerweile zumindest, dass der Konzern „Clean Diesel“ nicht ernst gemeint hat.

Sie sprechen in der Studie davon, dass die Ausrichtung des Unternehmens von der „gelebten Ethik in der EntscheiderInnen-Gruppe“ abhängt. Ist VW ein Beispiel dafür, sich nach außen eine „progressive Unternehmensführung“ zu geben aber im Inneren nicht dahinter zu stehen?

Ja, man kann bei Greenwashing immer beobachten, dass die tatsächliche Ausrichtung des Unternehmens weiter allein auf Gewinn- und Wachstumsmaximierung zielt. Bei glaubwürdig progressiven Unternehmen kann man sehen, dass es UnternehmerInnen sind, die aus eigener Initiative die Schäden für Mensch und Umwelt minimieren und ausgleichen.

Sind das Gutmenschen oder können sie besser rechnen?

Das sind gute Klugmenschen, die langfristiger rechnen und tiefer blicken.

Sind die Unternehmen, die für die Studie „Progressive Unternehmensführung“ befragt wurden, jeweils Best-in-Class – also im Zweifelsfalle am wenigsten schlecht – oder tun sie in der Summe schon gutes für Umwelt und Gesellschaft?  

Wenn jemand Garten-Produkte anbietet und das mit vorwiegend ökologischen Produkten tut, dann restauriert er die Umwelt und setzt einer schädlichen Landwirtschaft etwas Positives entgegen. Wenn es um Mitarbeiter-Selbststeuerung geht, ist das auch mehr als Best-In-Class, weil Mitarbeiter über ihre Arbeit entscheiden. Aber Unternehmen, die etwa nach den Kriterien der Gemeinwohlökonomie arbeiten, müssen nicht die Besten unter ihren Konkurrenten sein, sondern sie begeben sich auf einen transparenten Weg der Verbesserung.  Einen positiven Fußabdruck in der Welt zu hinterlassen ist ein Ziel, das die von uns befragten progressiven Unternehmen sich setzen, ohne es heute immer schon einlösen zu können.

Wie groß ist die Nische, in der man heute als „progressives Unternehmen“ erfolgreich sein kann.

Nach einer aktuellen Studie kaufen 14 % der Deutschen aktiv ökologisch-soziale Produkte. Weitere 20 % sind tendenziell bereit, so ein Angebot auch zu honorieren. Wir haben hier also einen potentiellen Marktanteil von über 30 % im Konsumgüterbereich – da kann man nicht mehr von einer Nische sprechen. Im Geschäft zwischen Unternehmen ist der Markt kleiner.

Wachsen diese Märkte, oder muss man von einer stabilen Nische sprechen?

In Anlehnung an die Wachstumsraten bei Bio-Lebensmitteln würde ich sagen: Die Wachstumsraten sind seit 10 oder 15 Jahren exorbitant. Und dass VW in der Öffentlichkeit jetzt solche Prügel bezieht und von Investoren mit 40 % Kursverlust abgestraft wird, zeigt, dass wir einen schnellen Wandel erleben. Vor zehn Jahren hätte kein Mensch solche Ansprüche an Unternehmen gehabt. Das gesellschaftliche Umfeld zwingt, ködert und motiviert Unternehmen immer mehr, sich in eine progressive Richtung zu bewegen.

Wann wird „fortschrittliche Unternehmensführung“ Mainstream?

2028 sagt der Hellseher in mir. Die Wurzeln sind da. Die Studie beweist, dass es einen neuen Prototyp von UnternehmerInnen gibt, die erkannt haben, was die Gesellschaft braucht und dies im Wirtschaftshandeln umsetzen. Wir erleben heute, dass die bisherige Wirtschaftsform zu Brüchen führt: VW oder Siemens stehen für die Unternehmensebene, die Flüchtlinge zeigen die gesellschaftliche Dimension und die ökologische und Klima-Krise  registrieren immer mehr Menschen. Diese Krisen machen heute schon klar, dass progressive Unternehmensführung die einzige Möglichkeit ist, in eine sichere und menschenwürdig Zukunft zu gelangen. Das wird auch in die Köpfe und Handlungen derer eindringen, die heute noch am konventionellen Wirtschaften festhalten.

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2 Antworten

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  2. 20. Dezember 2016

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