„Nachhaltigkeitstransformation durch eine weitreichende Institutionenrevolution“ – Interview mit Praxisdozentin Dr. Maja Göpel vom Wuppertal Institut
Dr. Maja Göpel ist Leiterin des Büro Berlin des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, einem der führenden, freien Forschungsinstitute zu nachhaltiger Entwicklung in Deutschland. Gemeinsam mit Prof. Dr. Pierre Ibisch leitet sie im Weiterbildungsangebot „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“ den Kurs M1 Kartierung von Nachhaltigkeit und hat sich im Praxisbeirat für die Entwicklung des Studiengangs engagiert.
Frau Dr. Göpel, warum engagieren Sie sich persönlich für den Studiengang „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“?
Für mich ist der Studiengang ein tolles Beispiel für die Verknüpfung von Theorie und Praxis, in dem ein On-the-Job Training auf wissenschaftlichem Niveau angeboten wird.
Was ist aus Ihrer Sicht ein besonderes Highlight im Studiengang?
Ein besonderes Highlight ist für mich die systematische Reflexion der persönlichen Erfahrungen im Kontext von strukturellen Veränderungsprozessen und die Erarbeitung von einer Pluralität von Perspektiven auf das Thema. Es geht nicht um das Erlernen eines bestimmten Ansatzes, sondern um die Schulung der individuellen Kapazitäten als Change Maker, um sich in einem sehr heterogenen und interessendurchsetzten Feld souverän und erfolgreich bewegen zu können.
Wie definieren Sie den (Kultur-)begriff Nachhaltigkeit?
Für mich ist es wichtig, an der 1987 im Brundtland Bericht formulierten und 1992 international verabschiedeten Definition festzuhalten und dabei v.a. die beiden qualifizierenden Konzepte hochzuhalten, die gerne in verkürzten Wiedergaben wegfallen: „Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Zwei Schlüsselbegriffe sind wichtig: Der Begriff von „Bedürfnisse“, insbesondere der Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, die die überwiegende Priorität haben sollten; und der Gedanke von „Beschränkungen,“ die der Stand der Technologie und sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen.“ Hier sind Definitionen verankert, deren ernsthafte Durchleuchtung die Spannbreite möglicher Lösungen deutlich vergrößert: Bedürfnisse befriedigen ist nicht gleichzusetzen mit steigendem materiellem Konsum – Grundbedürfnisse sichern jedoch mit ausreichendem! – und die Natur ist nicht per se das beschränkende Element, sondern die zerstörerische Wirkung menschengemachter Technologien und Prozesse. Im Kontext des heute vorherrschenden Diskurses ist diese Definition allerdings schon fast äquivalent mit einem Kulturwandel…
Kann sich Nachhaltigkeit nur in einer Post-Wachstumsphase durchsetzen?
Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn wir den Begriff „Wachstum“ ausreichend definieren. Stetig zunehmende materielle Stoffströme sind sicher nicht nachhaltig und die politische Fokussierung auf BIP Wachstum als Entwicklungsziel sicher auch nicht. Die Diskussion zu immateriellem Wachstum finde ich interessant, wundere mich aber über die Idee, dass hohe Produktivitätssteigerungen in Dienstleistungen eine Verbesserung der Qualität und Effektivität bringen würden. Ist es fortschrittlich, wenn Ärzte nicht mehr mit Patienten sprechen können oder Babies effizienter aus dem Bauch gezerrt werden? Auch habe ich noch keine stichhaltige Erklärung erhalten, warum hohe Kosten für Finanzdienstleistungen, also ein hoher Anteil des Finanzsektors am BIP, ein gesellschaftlicher Fortschritt ist. Dieser Sektor produziert keine Nutzwerte, sondern sollte der Realwirtschaft dienen – und das möglichst kosteneffizient. Wirtschaftswachstum ist ein Mittel zu höheren Zwecken und aktuell sind die sozialen und ökologischen Kosten für kontinuierlich steigendes BIP in vielen Ländern so hoch, dass es schlicht unökonomisch ist.
Was ist Ihre Vision für eine Nachhaltigkeitstransformation?
Meine Vision für eine Nachhaltigkeitstransformation ist eine politische. Eine weitreichende Institutionenrevolution, die grundlegende Werte der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft wieder nach vorne stellt, anstatt sie ökonomisch-technologischen Strukturzwängen bzw. Vorwänden zu opfern. Bevor sich „die“ Globalisierung, „die Märkte“ oder „das“ Finanzkapital persönlich vorgestellt haben, sollen sie in meiner Welt auch nicht Grundsatzentscheidungen darüber treffen dürfen, was gangbare Lösungen für gutes Leben im 21. Jahrhundert ausmacht. Natürlich befinden wir uns aktuell in einer strukturellen Krise, aber genau deshalb sind die Antworten darauf auch nicht alternativlos sondern vielfältig – und sollten in ihren Konsequenzen transparent diskutiert werden.
Zur Person:
Dr. Maja Göpel ist Medienwirtin, hat in Globaler Politischer Ökonomie promoviert, Internationale Beziehungen gelehrt und für mehrere NGOs zur Schnittstelle von Ökologie und sozialer Gerechtigkeit gearbeitet. Von 2006-2011 hat sie für den World Future Council (WFC) gearbeitet und war dort zuletzt als Direktorin des Programms „Zukunftsgerechtigkeit“ verantwortlich. Sie ist in den Wissenschaftlichen Beiräten von der Stiftung Entwicklung und Frieden und terre des hommes Deutschland tätig, sowie als Trustee der Foundation for Democracy and Sustainable Development.