David gegen Goliath – Interview mit Prof. Dr. Kächele zur Rolle der Deutschen Umwelthilfe beim Dieselgate
Prof. Dr. Harald Kächele ist, neben etlichen weiteren Ämtern, seit 2001 Bundesvorsitzender der Deutschen Umwelthilfe. Wir befragen Harald Kächele, Beiratsmitglied für den Studiengang Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement, zur Rolle der Deutschen Umwelthilfe im Skandal um Dieselabgaswerte.
Herr Kächele, was ist die Mission der Deutschen Umwelthilfe?
Die Deutsche Umwelthilfe ist ein Umwelt- und Verbraucherschutzverband, der an der konkreten Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft hin zu nachhaltigen und langfristig tragfähigen Lösungen tätig ist. Dabei rücken neben ökologischen Fragen mehr und mehr auch Fragen des Gesundheitsschutzes in den Fokus unserer Arbeit. Da wir wissen, dass wir alleine nicht viel erreichen können, haben wir sehr frühzeitig begonnen, unsere Aktivitäten im Rahmen von größeren Allianzen durchzuführen. Dazu arbeiten wir mit allen innovationsinteressierten Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammen, die ebenfalls an einer nachhaltigen Transformation interessiert sind.
Warum befassen Sie sich auch mit denen, die eine Nachhaltigkeitstransformation eher bremsen?
Bei Transformationsprozessen gibt es natürlich nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer, bei denen manchmal das komplette Geschäftsmodell in Frage gestellt wird. Im Grunde findet ein Verdrängungswettbewerb zwischen innovativen, zukunftsfähigen Ideen und überkommenen Lösungen statt. Auch wenn die Verlierer die notwendigen Entwicklungen meist nicht dauerhaft verhindern können, so können sie die Prozesse doch verzögern und Innovationen über Jahre hinweg verhindern. Der Atomausstieg ist ein Paradebeispiel für solches Verhalten, aktuell erleben wir entsprechende Verzögerungsstrategien z.B. hinsichtlich des Ausstieges aus der Braunkohleverstromung. Solche Verhinderungsstrategien kosten Zeit, die wir nicht haben. Deshalb haben wir gelernt, dass Innovationen häufig am besten dadurch zu Durchbruch verholfen werden kann, wenn wir uns auch intensiver um die Bremser kümmern. Richtig auf Konfrontation gehen wir jedoch grundsätzlich nur dann, wenn wir tatsächlich auch über alternative Lösungen verfügen und die Verzögerungen ihren Ursprung nicht in fehlenden Innovationen, sondern im mangelnden Willen der Unternehmen haben.
Seit wann ist die Deutsche Umwelthilfe am Thema Dieselabgaswerte dran?
2007 haben wir zum ersten Mal auf abweichende Messwerte aus dem Labor und unter Bedingungen des Realbetriebs hingewiesen. Alle Details dazu haben wir unlängst auf unserer Homepage als „Die Chronologie des Abgas-Skandals“ veröffentlicht. Dabei gibt es drei Stränge. Zum einen werden die CO2-Emissionen „schöngemessen“, um die Flottengrenzwerte von 130 g/km einzuhalten. Dies gilt für Diesel- und Benzinmotoren in gleichem Maße. Interessant ist, dass die recht sparsame Dieseltechnologie alleine offenbar nicht mehr ausreicht, um die EU-Grenzwerte für diese übermotorisierten Luxusfahrzeugen einzuhalten. Die Dieseltechnologie hat aber zwei ganz entscheidende Nachteile, die den Gesundheitsschutz berühren. Dies ist der hohe Ausstoß an Feinstäuben und an Stickoxiden. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation und der Europäischen Umweltagentur sterben jährlich alleine in Deutschland tausende von Menschen frühzeitig aufgrund von Atemwegserkrankungen, die durch den Verkehr verursacht werden. Wenn man darum weiß, dass die Emission von Stickoxiden Menschenleben gefährden, ist man umso schockierter, dass auch in diesem Bereich massiv getrickst wird, um Grenzwerte, die Menschenleben schützen sollen, zu umgehen.
Warum ist das Thema erst jetzt virulent geworden?
Erstaunlich ist, dass in Deutschland das zuständige Verkehrsministerium und die zuständige Behörden – im Falle des Dieselskandals wäre dies das Kraftfahrtbundesamt – über Jahre hinweg den sich verdichtenden Hinweisen nicht nachgegangen sind. Erst die Veröffentlichungen von Untersuchungen der United States Environmental Protection Agency (EPA) in Washington haben den Stein dann ins Rollen gebracht. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Härte die ansonsten sehr staatskeptischen Amerikaner in der Frage zu Werke gehen und wie sehr Politik und Verwaltung in Deutschland über Jahre hinweg konsequent wegsehen. Bis heute verweigert sich Verkehrsminister Dobrint übrigens einem Gespräch mit der Deutschen Umwelthilfe.
Was kann man aus dem Dieselgate für eine Nachhaltigkeitstransformation lernen?
Wir erleben gerade eine für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen fatale Kumpanei zwischen Unternehmen, Politik und Behörden. Möglicherweise versteht man die Zusammenhänge besser, wenn man in Betracht zieht, dass sich Deutschland rühmt, DER Premiumproduzent im Automobilsektor schlechthin zu sein. Nach heutigen Maßstäben sind diese Autos jedoch zu groß und dazu noch vollkommen übermotorisiert. Jahrelang konnte dies mit der Dieseltechnologie zumindest einigermaßen kaschiert werden. In der Zwischenzeit kommen bei allen Herstellern über 60 % der Premiumfahrzeuge mit einem Dieselmotor auf den Markt. Aufgrund der immer schärferen Grenzwerte sowohl bei CO2 als auch bei den Stickoxiden sind wir nun aber an einem Punkt angelangt, an dem diese überkommene Technologie überfordert ist und die Unternehmen sich offenbar nur noch mit Tricks am Markt halten können. Wir können konstatieren, dass die deutschen Automobilhersteller jahrzehntelang auf die falschen Fahrzeuge und die falsche Technologie gesetzt haben. Zudem wurden sie von der Politik dabei nicht nur durch aktives Wegschauen, sondern auch noch zusätzlich durch eine falsche Steuerpolitik (Diesel wird immer noch deutlich geringer besteuert als Benzin) unterstützt. Gerade jüngst hat Verkehrsminister Dobrint das Festhalten an dieser überkommenen Politik noch mal als alternativlos bestätigt. Unglaublich. Das wird das Ende dieser Technologie noch ein wenig hinauszögern, zukunftsweisend ist das aber alles nicht, was die Unternehmen und die Politik in Deutschland da gerade abliefern.
Für die Nachhaltigkeitstransformation lässt sich daraus vor allem lernen, dass Unternehmen ihre Geschäftspolitik langfristig nicht gegen ökologische oder gesundheitspolitische Wahrheiten betreiben können. Uns wird immer mal wieder vorgeworfen, wir würden mit unseren Kampagnen in dem Dieselskandal eine der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland schwer beschädigen und darüber hinaus das weltweite Markenzeichen „Made in Germany“ diskreditieren. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin mir sicher, dass wir durch die harte Konfrontation der Unternehmen mit der Realität, die sich strikt an der Nachhaltigkeitstransformation orientiert, am Ende ein wenig dazu beigetragen haben werden, die deutschen Automobilhersteller gegen ihren Willen wieder international wettbewerbsfähiger zu machen.
Das Interview wurde von Dr. Benjamin Nölting geführt.
Weiterführende Links:
Dieselgate allgemein: http://www.duh.de/dieselgate.html
Chronologie Dieselgate: http://www.duh.de/dieselgate_chronologie.html
Interview mit Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung bei der DUH: Wie Stickoxid und Feinstaub unsere Luft verschmutzen: http://www.duh.de/4008+M52e5a77fab1.html
Bericht Frontal 21 (ZDF) – Auffällige Abgaswerte nicht nur bei VW: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/460#/beitrag/video/2628014/Auff%C3%A4llige-Abgaswerte-nicht-nur-bei-VW